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Lust
und Frust in der Keramik
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Referat
von Gabi Dewald, Chefredakteurin des Keramik Magazins,
gehalten anlässlich der ASK-Generalversammlung
am 13. Mai
2000.
Abdruck
mit freundlicher Genehmigung der Autorin
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„Gabi Dewald, Fachfrau und Publizistin, spricht
über Lust und Frust mit Keramik“, steht da. Tja
– bin ich nun die Fachfrau für Lust oder für Frust?
Für Keramik am Ende? Nein – denn das sind ja Sie,
die Keramikerinnen und Keramiker. Ich begrüsse also
Sie, das keramische Fachpublikum, und möchte mich
für die Einladung bedanken, hier einen Vortrag zu
halten und – so wie ich die Lage einschätze – über
den allgemeinen und besonderen Frust zu sprechen,
der, wie mir scheint, unter Keramikern besonders
lustvoll gepflegt wird.
Um
diese Diagnose zu überprüfen, können wir kurz auf
einige der neuralgischen Schmerzpunkte drücken,
die da sind:
Punkt
1: Keramik wird zu schlecht bezahlt. Das schmerzt
das Selbstwertgefühl (jeder Computermensch bekommt
hier leicht ein Vielfaches), und der Strahlungsschmerz
geht hier verständlicherweise in Richtung Geldbeutel.
Punkt
2: Keramik gilt bestenfalls als Kunst zweiter Klasse.
Das führt zu allgemeinem Weltschmerz und deutlicher
Gelbfärbung im Gesicht, fällt der Blick Richtung
Kunstmarkt.
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Punkt
3: Sind Keramiker im Allgemeinen schon in der Kaste
der Kunsthandwerker festgezurrt, unterscheiden sie
selbst hier noch einmal zwischen dem Unikatkeramiker
bzw. dem Keramikkünstler (der also keine Gebrauchsgegenstände
herstellt) und dem gemeinen Töpfer. Folge: gegenseitiges
Hauen und Stechen bei passender und unpassender
Gelegenheit.
Diese
Lage ist, zumindest in Europa, länderübergreifend
vergleichbar; traditionellerweise geht es Keramikern
im Keramikliebhaberland Grossbritannien ein bisschen
besser – und auch den Norwegern und Finnen, die
schlicht und ergreifend massiv vom Staat gestützt
werden, der auch im Kunsthandwerk stark auf einen
internationalen Anschluss drängt.
Die
Strukturen sind dabei so schlecht nicht: Es gibt
überall differenzierte Ausbildungsangebote, also
verschiedenste Arten von Schulen (die sich im Übrigen
immer mehr untereinander vernetzen); es gibt Lehrstellen
und Möglichkeiten der Praktika. Dazu immer wieder
Stipendien, grosse Konferenzen, Symposien und Workshops.
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Flächendeckend
existieren Wettbewerbe (nationale und internationale);
es gibt Messen, Galerien und museale Ausstellungen,
ja vielbeachtete Spezialmuseen für Keramik, es gibt
eine wahre Flut von Töpfermärkten. Fast in jedem
europäischen Land gibt es mindestens eine Fachpublikation.
Es existieren keramische Zusammenschlüsse auf Länderebene
(wie beispielsweise die ASK) und internationale
Netzwerke (ich denke etwa an die Ald). Immer wieder
werden grosse Überblicksausstellungen mit dicken
Katalogpublikationen organisiert, die sich ausschliesslich
dem Material Keramik widmen. Damit ist die Keramik
besser und breiter repräsentiert, wie jedes andere
Kunsthandwerk. Und damit steht auch in Verbindung,
dass sie, massiver als alle anderen Gewerke, auf
den freien Kunstmarkt drängt und dort mittlerweile,
wenn auch immer noch spärlich, tatsächlich mehr
als alle anderen vertreten ist.
Trotzdem
hört man allerorten: „Der Keramik geht es schlecht.“
Das halte ich für ausgemachten Quatsch. Ich glaube
allerdings, dass in der Keramik nach einer lang
anhaltenden Phase der Euphorie, deren Kurve seit
den 60er bis in die 90er Jahre anstieg, eine Zäsur
erreicht ist. Für mich steckt die Keramik heute
nicht in einer Krise, sondern man kommt nicht mehr
länger darum herum, die Krise, in der die Keramik
seit Jahren steckt, wirklich anzuschauen. Und diese
Krise ist vor allem und zunächst hausgemacht. Wenn
wir Glück haben, sind wir an einem „point of no
return“. Nichts fände ich heilsamer.
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Das
Hausgemachte daran gründet für mich vor allem in
der Weigerung der Töpfer bzw. Keramiker, tatsächlich
Stellung zu beziehen, zu entscheiden, was sie tun
und herstellen wollen und in der Folge die Verantwortung
dafür zu tragen. Immerhin hat man die Wahl zwischen
Kunsthandwerk, also Gestaltung und Kunst, also Bildhauerei.
Beides komplexe Aufgaben, die vor allem auch voraussetzen,
darüber informiert zu sein, was in den jeweiligen
Feldern derzeit passiert.
Heute
geht der Zahl derer, die eine Ausbildungsstelle
suchen, zurück. Schon sucht man in den Betrieben
– mindesten in Deutschland – händeringend geschulte
Töpfer. In den Schulen werden Klassen zusammengelegt,
den einschlägigen Organisationen fehlt es an Nachwuchs,
die Töpfermärkte werden zum Stelldichein rüstiger
Senioren. Töpferei – oder sollte man besser sagen:
das damit verbundene Image – ist nicht mehr „en
vogue“. Am ehesten noch interessieren sich diejenigen
für eine keramische Ausbildung, die damit „irgendwie“
die Idee einer künstlerischen Existenz verbinden.
Ich behaupte: Viele, die sich nicht trauen, eine
Bewerbung an einer Kunstakademie anzugehen, suchen
hier den Nebeneingang zur sogenannten freien Kunst.
Falls
Sie zu den Keramikern gehören, die von sich sagen,
dass sie Kunst machen: Natürlich hat es Keramik
auf dem Kunstmarkt schwerer als etwa Bronze oder
gar die Disziplin der Malerei. Diese Erkenntnis
ist so alt wie die so genannte keramische Kunst
selbst.
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Falls
Sie zu denen gehören, die sich dafür entschieden
haben, Gebrauchsgegenstände herzustellen: Natürlich
zahlt Ihnen niemand für eine Vase den Preis wie
für eine figürliche Plastik oder ein Gemälde. Würden
Sie es denn tun? Dennoch: Ich nehme an, niemand
hat Sie gezwungen, das zu tun, was Sie heute tun.
Es war Ihre eigene freie Entscheidung, die Sie dahin
geführt hat, wo Sie heute stehen. Es ist unsinnig,
jetzt jemanden oder etwas für die eventuell damit
verbundenen Schwierigkeiten verantwortlich machen
zu wollen.
Die
Euphorie der frühen Jahre
Die
Euphorie der 70er und 80er Jahre ist vorbei, das
stimmt allerdings. Als die Keramiker sich schliesslich
und endlich von dem (scheinbaren) Zwang befreiten,
aus Ton ausschliesslich Nützliches, Verwendbares
herstellen zu „dürfen“ und Heerscharen von Töpfern
und Studiokeramikern über Nacht zu Bildhauern wurden,
besser gesagt mit der freien Plastik liebäugelten.
Begeistert waren auch die Keramiksammler, denn diese
Kunst war meistens bei weitem verträglicher und
angepasster und vor allem auch weitaus preiswerter
als das, was man auf dem freien Kunstmarkt so fand.
Und zur Not konnte man ja doch auch mal einen Apfel
oder eine Blume…
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Auch
Galerien – damals zumeist noch eher Kunsthandwerkerläden
usw. – und die Museen für angewandte Kunst machten
diesen Karrieresprung der Keramik nur allzu gerne
mit, denn sie alle fühlten sich natürlich irgendwie
mitgeadelt und hofften, wie die Keramiker selbst,
von diesem Imagegewinn ebenfalls zu profitieren.
Die „keramische Kunst“ war endgültig geboren und
lockte in der Folge Heerscharen – mindestens meiner
Meinung nach – auf den Holzweg.
In
der Folge wurde diese keramische Kunst (welch ein
Unwort – was soll das bezeichnen?) gepäppelt und
gehütet, bemuttert und vorangelobt. Heute sieht
man, schon mit etwas zeitlichem Abstand, dass unglaublich
vieles von dem, was damals ausgezeichnet, bepreist,
gesammelt, gekauft wurde, schlicht und ergreifend
langweiliger Mist ist, keinerlei Vergleich mit der
modernen Plastik Stand hält und noch dazu deren
Entwicklungen in der Regel um Jahre und Jahrzehnte
hinterherhinkte. Hier sind die Käufer kritischer
geworden, das stimmt, Gott sei Dank, und ich behaupte:
Das tut der Keramik nur gut. Keramiker, die als
Bildhauer arbeiten wollen, sollten das zur Kenntnis
nehmen und an ihren Standards und den Anforderungen
an sich selbst arbeiten.
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Vorbei
ist auch die Zeit, da im Zuge der grünen Revolution
die berühmte „Handarbeit“ und schafwollene Gemütlichkeit
ganz vorne rangierte – was ebenfalls in den 70er
und 80er Jahren eine wahre Begeisterung für Töpferwaren
auslöste. Das Problem ist hier, dass die meisten
aktiven Töpfer aus dieser Generation stammen und
sich schlicht und ergreifend weigern, der veränderten
Markt- und Geschmackslage Rechnung zu tragen. Und
wenn, tun sie es mit halben und meist blutenden
Herzen, und dieses Herzblut verkleistert ihre Produkte
nachhaltig. Doch ihre Produkte sind Dienstleistungen
im weiten Sinne, d.h. ein Hauptgrund für ihre Existenz
ist ein Bedarf, und der schliesst – gerade beim
kunsthandwerklichen Gegenstand – das ästhetische
Bedürfnis mit ein: Sie müssen reagieren – oder Sie
produzieren an diesem Bedarf vorbei. Damit haben
nicht die Kunden ihr Ziel, sondern Sie selbst das
Ziel Ihrer eigenen Profession verfehlt oder aber
missverstanden. Die Kehrseite dieser Medaille ist,
dass Sie mit Ihrer Tätigkeit auf Geschmack einwirken,
also geschmacksbildend tätig sein können. Doch das
bedeutet nicht weniger Mühe.
Ich
persönlich glaube übrigens nicht, dass der vielgelobte
Personal-Computer die keramische Arbeit erleichtert
oder gar revolutioniert.
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Mir
ist der Sinn und Reiz dieser „virtual pots“ noch
nicht aufgegangen, ausser dass es ein Anreiz zum
Spielen sein mag. Ich verstehe auch nicht, warum
es so „unbelievable“ ist, endlich sehen zu können,
wie eine Tasse aussehen würde, könnte sie auf ihrem
eigenen Henkel balancieren oder zwei Zentimeter
über dem Unterteller schweben, statt auf einem Fuss
zu stehen… Aber: Ich glaube, dass beispielsweise
die Computerästhetik weit in unser Schönheitsempfinden
eingreift und Alltagsformen beeinflusst. Man muss
zur Kenntnis nehmen, dass die Welt im Jahre 2000
eine andere ist als die 1970, und damit haben sich
auch die Bedürfnisse, auch die ästhetischen, gewandelt.
Menschen, die für andere entwerfen und das dann
diesen anderen Menschen auch noch verkaufen wollen,
sollten nicht nur dem Zeitgeist Rechnung tragen,
sondern diesem eigentlich ein wenig voraus sein.
Es
gibt Trendsetter und Trendmacher. Und dann gibt
es noch die, die beides irgendwie anrüchig und mit
ihrer Ehre als Kunsthandwerker unvereinbar finden.
Für
die Keramik haben wir also spätestens seit 1960
als breites Phänomen eine Spaltung in zwei Stränge:
Kunst und Kunsthandwerk. Erstaunlicherweise verlaufen
die Kurven dieser beiden Stränge, wie wir es gerade
gesehen haben und obwohl sie herzlich wenig Berührungspunkte
haben, geradezu parallel.
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Die
Töpfer, die sich entschlossen, als Künstler zu arbeiten,
fertigten freie plastische Formen und Unikatgefässe
an. Sie verkauften zunehmend in Spezialgalerien
an eine prosperierende Mittelschicht. Die Töpfer,
die sich entschlossen, weiterhin Geschirr zu produzieren,
machten Kleinserien und verkauften in der Werkstatt
oder auf Töpfermärkten. Erstere heissen fortan Keramiker
und werden in Keramikvereinigungen wie beispielsweise
die AIC aufgenommen; letztere, die sich weiterhin
Töpfer nennen, nicht. Dafür bleiben die Letztgenannten
dem gemeinen Volk näher, während die sogenannt künstlerisch
Orientierten für ein sehr schmales Insiderpublikum
produzieren. Viele versuchen, eine Geschirrproduktion
als Broterwerb zu installieren und daneben ihre
schwerer zu verkaufenden Einzelstücke zu fertigen.
Doch beide Zweige boomen zunächst, und die Nachfrage
nach den Produkten und auch die bezüglich der Ausbildungen
ist beachtlich.
Holzwege
und Endstationen
Heute
scheinen beide Karren mehr oder weniger vor die
Wand gefahren. Was ist passiert? Ganz einfach: Es
ist, als wenn es das Dach von einem Gewächshaus
wegfegt: Was hier plötzlich weht, ist der raue Wind
der Realität; Keramik ist aus der freundlichen und
temporären Thermik der beschriebenen Euphorie und
des geschlossenen Kreislaufes abgedriftet.
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Dazu
kommt, dass man gar zu viele gutgläubige Seelen
für diese neuentdeckte Art der Kunstausbildung (oder
was auch immer) begeistert hat, was nach sich zog,
dass es heute zu viele frei (?) arbeitende Keramiker
für den vorhandenen Bedarf gibt. Ich glaube, dass
das Wichtigste jetzt ist, sich zu fragen, was man
wirklich will und vor allem was man wirklich vermag.
Und schliesslich: Ob es einen ernährt. Leider tendieren
Keramiker wie Kunsthandwerker im Allgemeinen dazu,
sich irgendwie „Wischiwaschi“ zu verhalten, wie
schon gesagt, Fragen auszuweichen und den Kopf lieber
in den Sand bzw. Ton zu stecken. – „Was ist das?
Eine Vase? Eine Skulptur?“ – Schweigen – „Na – irgendwie
– Keramik.“ Das ist keine Antwort, das ist eine
Blamage.
Unglücklicherweise
unterstützen unsere Ausbildungsstätten und -strukturen
diese Haltung. Das Ergebnis: Einerseits massenhaft
gestrandete Möchtegern Künstler, andererseits das
völlige Verschwinden jedweder handwerklicher Ausbildung
und damit Fähigkeit. Ich habe die Nase voll von
Rosenvasen, die mit „Hommage an Giacometti“ betitelt
sind, oder irgendwelchen obskuren Sammelsurien aus
Fell und Tassen auf Silbertablett, die unter „Meret-Oppenheim-lnstallation“
firmieren – was soll der Unsinn? Wenn Rezensenten
und Kunstkritiker hier mit spitzen Federn ins naive
Fleisch der Keramiker pieken, haben sie recht.
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Unsere
Ausbildungsstätten sind schlecht – das kann man
nicht zuletzt bei grossen kunsthandwerklichen Wettbewerben
sehen: Hier sind es fast immer die Goldschmiede,
die abräumen. Warum? Meines Erachtens, weil sich
deren Ausbildung, der dort geführte Diskurs, bei
weitem engagierter, offensiver, selbstbewusster
und lustvoller mit den Fragen der Gestaltung befassen.
Diese Schuster bleiben bei ihrem Leisten – scheinbar
aus Lust, nicht mit Frust.
Und
fragen Sie doch mal Keramiker, ob sie zeichnen,
Skizzen machen, in welcher Art und Dimension sie
entwerferisch tätig sind. Wie entsteht ein Geschirr?
Wie viel Ahnung hat man beispielsweise von Architektur?
Geschirr ist Architektur im Raum. Wie viel von ergonomischen
Erfordernissen? Ein Behältnis verhält sich stets
zum Körper.
Unsere
Ausbildungsstätten sind auch deshalb schlecht, weil
sie die jungen Leute viel zu wenig auf die Situation
vorbereiten, dass sie mit dem, was sie da so sorgsam
behütet zutage fördern, hinterher ihr schlichtes
Leben verdienen müssen. Wie geht das? Künstler,
o.k. – die wissen mehr oder weniger, dass ihre Kunst
brotlos ist und sie sich deshalb mit Putz- und Aushilfsjobs
oder auf dem Bau durchfüttern müssen. Jedenfalls
geht es 90% meiner Künstlerfreunde so. Aber Kunsthandwerker:
Die gehen ja schon im Grunde davon aus, dass sie
nach der Ausbildung von dem leben können, was sie
herstellen – wenn es denn Kunsthandwerk ist…
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Ich
fordere Schulen, die die Aufgabe der Gestaltung
von Kleinserien und die handwerklich gute und zeitgenössische
Herstellung von Gegenständen, wie wir sie täglich
handhaben, in den Mittelpunkt stellen, von Dingen,
die ich täglich in die Hand nehmen muss – oder viel
besser: will. Ich fordere Lehrer, die im Herstellen
von Gebrauchsware nicht ein lästiges Übel und eine
künstlerisch minder anspruchsvolle Tätigkeit sehen
oder auch nur zulassen, das dies so gesehen wird.
Wo
sind die innovativen Leute, die den immensen Nutzen
sehen, der in der guten, zeitgemäßen Gestaltung
unserer Umwelt steckt? Wo sind die Leute, die begreifen,
dass es wunderbar ist, unsere Sinne zu schulen,
zu nutzen, herauszufordern mit dem, was sie uns
an die Hand geben?
Wenn
ich mir, wie gerade zu Beginn dieser Woche in Vevey
geschehen, die Arbeiten von Absolventinnen einer
Gestaltungsschule anschaue – die keineswegs von
schlechter Qualität waren -, dann drängen sich mir
mehrere Fragen auf: Wozu soll das dienen? Mit welchen
Vorstellungen kamen diese Mädchen hierher? Was glauben
sie, ist das, was sie hier anfertigen? Wo glauben
sie, das verkaufen zu können? Womit glauben sie,
ihren Lebensunterhalt zu verdienen? Warum sind sie
nicht an eine Kunstakademie gegangen? Warum konnte
man sie nicht für gestalterische Aufgaben im angewandten
Bereich begeistern?
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Kunst
ist schön – macht aber Arbeit
Töpfer sind heute immer und zu allererst Gestalter,
Erfinder. Es gibt keine Tradition mehr, auf die
man zurückgreifen kann im alten Berufssinn, und
Keramik hat in der westlichen Welt schon lange nichts
mehr mit Produktion im Sinne einer Arbeitsteilung
zu tun. Wohl aber gibt es Traditionen, die beispielsweise
regional bedingt sein mögen – die ich als Keramiker
in die Gestaltung auf ganz neue, eigene und zeitgemässe
Weise einbinden kann.
Wer
heute Form herstellt, muss sie zuvor erdacht haben,
wer heute Dekor einsetzt, muss es zuvor entworfen
haben, erprobt, verworfen, neu gemacht haben. Ergo
muss ein Töpfer heute nicht nur handwerklich geschult
sein, sondern auch gestalterisch ausgebildet. Das
ist eine Herausforderung, keine Schmach. Was in
drei Teufels Namen ist daran langweiliger, als sich
drei Jahre lang in der Herstellung irgendwelchen
abstruser, zumeist noch selbst referentieller Staubfänger
zu üben, die kein Mensch braucht, geschweige denn
will! Zugegebenermassen wird der angewandt arbeitende
Künstler als Autor weniger Beachtung finden als
der freischaffende, der Name des Töpfers also weniger
bekannt werden als der des Bildhauers, und diese
Anonymität ist in unserem Zeitalter der Hyperindividuation
gewiss schwer zu ertragen. Man möchte erkannt sein.
Doch kann dies niemals ernsthaft Grundlage einer
Berufswahl sein.
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Leider
muss man den Töpfern, die gerne hinter ihren Öfen
kauern, zurufen, dass selbst die Töpferei kein sicherer
Winkel mehr ist für die ewig Gestrigen, die sich
allzu gerne hinter einem Gemenge aus Traditionsbewusstsein,
Handwerkerstolz und dem scheinheilig bescheidenen
Ausspruch „Ich bin doch nur ein einfacher Töpfer“
aus der Verantwortung stehlen wollen. Sicherlich
– auch für die Blümchentasse und den reduziert gebrannten
lehmglasierten Kaffeehumpen oder die Walzenvase
mit Ochsenblutglasur wird es immer einen Bedarf
geben.
Und
auch das Unikatgefäss wird immer seine Liebhaber
finden, damit aber stets in einer nicht sehr grossen
und „geschlossenen Gesellschaft“ bleiben. Doch für
das Gros der Leute, die sich mit dem Herstellen
vernünftiger Gebrauchsware befassen wollen, kann
das kein Massstab sein.
Macht
es denn Sinn, spezielle keramische Schulen zu haben?
Das Wenigste wäre eine ein- bis zweisemestrige Orientierungsphase
und danach die Entscheidung für Gestaltung oder
freie Plastik, selbstredend, dass Fächer wie Kunst-,
Architektur und Designgeschichte, Zeichnen usw.
zum Ausbildungsprogramm beider Zweige gehörten.
Bildhauer sollen Bildhauer unterrichten und Gestalter
Gestalter. Ansonsten sind keramische Klassen an
Schulen für Gestaltung oder aber an Kunstakademien
anzusiedeln.
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Dabei
wehre ich mich vehement gegen die Hierarchisierung
der Begriffe freier und angewandter Kunst. Natürlich
unterscheiden sie sich, denn sie haben ja ganz unterschiedliche
Aufgaben! Aber es ist völlig überflüssig und mehr
als antiquiert, immer wieder diesen bildungsbürgerlichen
Nimbus der hohen Kunst im Elfenbeinturm zu beschwören
und die angewandten Künstler als diejenigen zu beschreiben,
bei denen es eben nicht zum Höherem langte! Das
ignoriert den immensen Anspruch, der in deren Aufgabe
liegt! lassen Sie sich das nicht gefallen. Führen
Sie vielmehr vor Augen, wie komplex, spannend und
vielfältig intelligente, gute Lösungen gestalterischer
Aufgaben tatsächlich sind!
Neuer
Wein – neue Schläuche
Ich
bin davon überzeugt, dass gerade Kunsthandwerk in
einer immer virtueller werdenden Welt an Bedeutung
gewinnt und nicht, wie oft behauptet, „passe“ ist.
Totgesagte
leben länger! Wenn Sie es verstehen, die einmalige
Qualität des handgefertigten – und zwar von einer
Hand gefertigten – Gegenstandes bewusst zu machen,
des Gegenstandes, der von Material ausgeht, der
die Bedürfnisse der Benutzer als Grundlage formaler
Entscheidungen nimmt und dem durch die Eigenart
des jeweiligen Gestalters eine eigene, überraschende
Unverwechselbarkeit gibt – wenn sie das vermitteln,
dann haben sie sich unentbehrlich gemacht. Wie kommt
es zu der Ungeheuerlichkeit, dass Museen für angewandte
Kunst irgend ein Hotelporzellan in ihren doch oftmals
ambitionierten Restaurationen aufdecken, statt mit
den Kunsthandwerkern und Designern zusammenzuarbeiten,
die sie in ihren Häusern ausstellen?
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Wieso veranstaltet man nicht für die Museumsfreunde
und Gönner einmal im Vierteljahr ein Special-Dinner,
wofür spezielle Gedecke zu speziellen kulinarischen
Themen gefertigt werden, und versteigert diese hinterher?
Warum veranstalten Galerien nicht einen Festschmaus,
wozu sie ihre guten Kunden einladen, statt die Gefässe
feierlich auf weissen Sockeln zu drapieren? Es kann
die gleiche Galerie sein, die ansonsten freiplastische
Arbeiten aus Keramik verkauft. Warum keine Galerie
im Schaufenster eines grossen Kaufhauses, wo dieses
Schaufenster selbst der Ausstellungs- und Aktionsraum
ist? In diesem Sinne der erweiterten Aktionsrahmen
fand ich auch die Aktion der Ostschweizer Keramiker
und Keramikerinnen gut und vorbildhaft, die vor
zwei oder drei Jahren über ein paar Wochen mit einem
bestimmten Gastronom zusammengearbeitet hatten.
Denn
ich bin davon überzeugt, dass der Hunger nach sinnlich
Erfahrbarem nicht verschwindet, sondern rasend zunehmen
wird. Und was das Handwerk nicht mehr leisten kann,
weil es nämlich viel zu sehr in den Zuggeschirren
der Produktionsabläufe und Kostenkalkulationen hängt
und die Kunst nicht leisten will, da sie primär
vom Gedanken ausgeht, das kann eben das Kunsthandwerk:
Es kommt einerseits – wie das Handwerk – vom Material
her und hat seinen gestalterischen Ursprung in einer
konkreten Aufgabe. Dazu kommt die künstlerische
und damit hochindividuelle Ausarbeitung dieses konkreten
Themas. Ausserdem verteidigen und beanspruchen Kunsthandwerker
gleich ihren Künstlerkollegen einen Faktor, der
ansonsten als unbezahlbar und unwirtschaftlich aus
unserem Leben gestrichen wurde: Zeit. Die Zeit,
die etwas braucht, um gut zu werden.
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Es
ist auch die Aufgabe der Ausbildungsstätten, hier
Selbstbewusstsein – und der Wettbewerbsauslober,
der Galeristen und Museen, hier offensiv Abhilfe
zu schaffen. Dabei finde ich: Eine Suppenterrine,
also eine reproduzierbare, wenn auch besonders ausgeführte
Form, mit 6000 oder 7000 Franken auszuloben, ist
schlicht und ergreifend Unsinn und stellt die Jury
vor eine schier unlösbare Aufgabe (so geschehen
in Sarreguemines vor einem Jahr). Hier fehlt einfach
die Relation. Aber: Genauso unsinnig finde ich es,
Schalen, Vasen und Kannen auf Podesten und unter
Glasstürzen zu zeigen: Man kann eine Gebrauchsware
weder so hoch dotieren noch in der Art ausstellen
wie eine Stele oder eine andere freiplastische Form.
Gefäße
vollenden sich immer erst mit dem Nutzen, werden
hier in Einmaligkeit und Kostbarkeit, in ihrer ganzheitlichen
Funktion sichtbar.
In
diesem Sinne denke ich auch an den erst kürzlich
ausgelobten ASK-Wettbewerb zum Thema „Schale“ –
von dem ich leider nur Abbildungen kenne. Ich glaube,
hier war der höchstdotierte Preis 3000 Franken,
was auch eine immense Summe ist, wenn man an den
höchst angenommenen möglichen Verkaufspreis oder
aber Versteigerungspreis einer solchen Schale denkt.
Welche Schale wäre Ihnen 3000 Franken wert?
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Und:
Waren diese Schalen wirklich so langweilig, oder
gehören diese Schalen einfach benutzt, in alltägliche
Zusammenhänge gestellt, um zu sehen, ob sie „gut“
sind? Und wenn Frank Nievergelt davon gesprochen
hat, dass man beispielsweise die Teilnahme von Philippe
Barde oder Jacques Kaufmann vermisst hätte, so denke
ich, dass gerade diese beiden sich tatsächlich für
die Bildhauerei entschieden haben und sich mit dem
Thema „Gebrauchsware“ schon lange nicht mehr auseinandersetzen;
ich wundere mich nicht darüber, dass sie nicht teilnahmen.
Noch
einfacher gesprochen: Ich finde, Schalen gehören
nicht auf ein Podest, sondern auf eine Tafel mit
Gläsern und Obst, mit Wein und Kerzen. Wie kommt
es zu der Ungeheuerlichkeit, dass Museen für angewandte
Kunst irgend ein Hotelporzellan in ihren doch oftmals
ambitionierten Restaurationen aufdecken, statt mit
den Kunsthandwerkern und Designern zusammenzuarbeiten,
die sie in ihren Häusern ausstellen? Wieso veranstaltet
man nicht für die Museumsfreunde und Gönner einmal
im Vierteljahr ein Special-Dinner, wofür spezielle
Gedecke zu speziellen kulinarischen Themen gefertigt
werden, und versteigert diese hinterher? Warum veranstalten
Galerien nicht einen Festschmaus, wozu sie ihre
guten Kunden einladen, statt die Gefässe feierlich
auf weissen Sockeln zu drapieren?
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Es
kann die gleiche Galerie sein, die ansonsten freiplastische
Arbeiten aus Keramik verkauft. Warum keine Galerie
im Schaufenster eines grossen Kaufhauses, wo dieses
Schaufenster selbst der Ausstellungs- und Aktionsraum
ist? In diesem Sinne der erweiterten Aktionsrahmen
fand ich auch die Aktion der Ostschweizer Keramiker
und Keramikerinnen gut und vorbildhaft, die vor
zwei oder drei Jahren über ein paar Wochen mit einem
bestimmten Gastronom zusammengearbeitet hatten.
Neue Märke offensiv erschliessen – warum nicht auch
mit der Industrie zusammenarbeiten? In Frankfurt
macht es eine junge Keramikerin vor, die einerseits
ihre Gefässe herstellt, andererseits jedoch für
die Deutsche Steinzeug Entwürfe für Kacheln lieferte
– und sich so über eine Gewinnbeteiligung ein sicheres
Standbein ausbaute. Warum nicht in der Werkstatt
arbeiten und gleichzeitig am Computer Entwürfe für
grössere Produktionen erarbeiten? Wer könnte das
besser als diejenigen, die das Material und die
Schwierigkeiten von der Pike auf kennen?
Vor
allem aber die Keramiker selbst müssen raus aus
ihrer Ton- und Erde-Ecke. Der Schmollwinkel gilt
nicht. Wenn Keramiker sich heute wie Bildhauer gebärden
und schlicht nicht wissen, dass das, was sie da
machen, vor dreißig Jahren schon auf allen Kunstmessen
der Welt gang und gäbe war, dann ist das ihre Schuld,
Unwissenheit und Ignoranz.
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Wenn
Keramiker sich heute immer wieder dazu entscheiden,
kunstvoll gefertigte Unikatgefässe herzustellen,
dann müssen sie wissen, dass auch das – und zwar
im dekorativen Sinne – angewandt ist und bleibt
und vermutlich nur von einem kleinen Kreis von Connaisseurs
entsprechend bezahlt und geschätzt wird. Wenn Keramiker
heute vor sich hin töpfern und sich dann wundern,
dass niemand ihr Geschirr kaufen mag, dann sollten
sie sich aufmachen und die Leute beobachten, die
heute Geschirr brauchen und bereit sind, dafür Geld
zu zahlen.
Ton
ist gewiss keine leichte Scholle, das sei gerne
zugestanden. Aber – wie gesagt: Wer sich freiwillig
dafür entschieden hat, sollte darüber hinterher
nicht klagen.
Ich
bin der Meinung, dass die Welt – und sei sie noch
so zugemüllt mit Konsumgütern – gute Ware, wie sie
Keramiker imstande sind zu machen, dringend braucht.
Es liegt an Ihnen, diesen Bedarf zu erkennen und
zu bedienen.
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