Die
zum Wachtdienst eingeteilten Personen langweilten sich wohl und vertrieben
sich so die Zeit. In all diesen „mittelalterlichen Graffitis“ fällt
ein Zeichen besonders auf: Ein präzise gearbeitetes, liegendes Zeichen,
das mit der Jahreszahl 1562 kombiniert ist.
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Aushängeschild der Prager Töpfer, Detail, nach
Vàclav Husa: „Homo Faber – Der Mensch und seine Arbeit. Die Arbeitswelt
in der bildenden Kunst des 11. bis 17. Jahrhunderts“, Prag 1967
Diese Schiene war einige Jahrhunderte lang das Handwerkszeichen
der Töpfer. Heute kennt kaum einer mehr diese Schiene, längst ist
sie ersetzt durch andere Formen und Materialien. Schaut man in die
Sortimente der Keramikbedarfsläden findet man Drehschienen aus Holz,
aus Alublech, Stahlblech, Plastik oder aus Gummi. Die Formen der
Schienen variieren von spitz über rechteckig bis rund und sämtliche
Kombinationen davon. Aber die historische Form ist nicht darunter
zu finden.
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Ein
einziges Exemplar einer solchen Schiene existiert aber noch. Man
findet es in den Städtischen Sammlungen für Heimatkunde in Hofgeismar
unter den Arbeitsgeräten der Töpferei Fenner in Immenhausen. Sie
ist aus 1,3mm dickem Kupferblech, 140,5mm lang und 90mm breit, der
Durchmesser der Bohrung ist 17mm. Da sich die Schiene in Material
und auch in Dimensionen und Konturen deutlich vom restlichen Fenner-Werkzeug
unterscheidet, darf man annehmen, dass sie durch Wanderung nach
Immenhausen kam und wohl nur auf Grund des dauerhaften Kupfers überlebte.
Vermutlich ist auch schon diese Schiene nur eine Nachahmung.
Die
Töpferschiene aus der Töpferei Fenner in Immenhausen,
Foto: Azzola
Als
Handwerkszeichen war die Schiene oft mit einem Topf oder Krug und
mit einer Töpfer-scheibe kombiniert, wie das Emblem der Zunftlade
der Töpfer in Brünn/Mähren von 1777.
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Emblem
von der Zunftlade der Töpfer (1777) in Brünn/Mähren nach Cecilie
Hàlovà-Jahodovà, Vergessene Handwerkskunst, Prag 1955
Da
Handwerkerhäuser oft mit ihren entsprechenden Handwerkszeichen versehen
wurden, trifft man die historische Töpferschiene auch als Hauszeichen
an, zum Beispiel an einem Fenstersturz in Hafenlohr am Main.

Fenstersturz
(1786) am Haus Mühlgasse in Hafenlohr/Main, Flachrelief, Foto: Azzola
Aber
auch in Wappen wie z.B. dem der Familie Stumpf in Walldürn und auf
Keramiken wie einem Hochzeitsteller, einer Platte oder dem Habaner
Krug aus der Westslowakei im Schlossmuseum Aschaffenburg findet
man das historische Werkzeug. (Abb. Seite gegenüber) Archäologische
Befunde lassen erkennen, dass Formhölzer bereits ab 1070 als Arbeitshilfen
herangezogen wurden. Als Töpferzeichen tritt die historische Schiene
aber erst um 1500 auf. Deutlich ältere Kleindenkmale mit der Schiene
als Zeichen sind bisher nicht bekannt geworden.
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Wappen der Familie Stumpf auf dem Bildstock (1586) vor dem „Güldenen
Engel“ in Walldürn, Foto: Azzola
Die
weite Verbreitung der Schiene als Zeichen westlich des Rheins, im
Süden Deutschlands, in der Schweiz, in Österreich und im südöstlichen
Mitteleuropa läßt jedoch auf einen lange vorausgehenden Gebrauch
dieses Werkzeugs auch schon vor 1500 schließen.

Habaner Krug (1790) aus Groß-Schützen/Velkè Levàre in der Westslowakei,
Detail, Foto: Azzola
Da
heute kein Töpfer mehr die historische Schiene kennt, drängt sich
der Eindruck auf, sie müsse schon seit Generationen durch die heute
handelsüblichen Schienen verdrängt sein. Die jüngsten, uns bekannten,
ikonographischen Belege sind eine Kachel des Töpfers Johann Conrad
Kipfer (Holzgerlingen) von 1800 und ein historisches Töpferzeichen
von 1818 in der Slowakei.
Seit
kurzem kann man bei WEMA in Nürnberg eine Schiene in der historischen
Form und Größe kaufen. Ein der Packung beigelegter Zettel weist
auch auf die historische Bedeutung der Schiene hin.
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Also
muss die Verdrängung des historischen Werkzeugs durch die modernen
Schienen vor mehr als 170 Jahren eingesetzt haben. (So ist auch
verständlich, weshalb heute kein Töpfer die Schiene kennt und warum
sie auch in den Museen weithin fehlt.) Dafür spricht ein Töpferzeichen
in Homburg am Main von 1819. Die Drehscheibe wird nunmehr von zwei
Werkzeugen flankiert, die sich von der historischen Schiene grundlegend
unterscheiden. Offensichtlich wollte damals der Töpfer als Bauherr
sein neues Haus auch mit seinen modernen Werkzeugen schmücken.

Töpferzeichen
in Homburg/Main, früher am Armenhaus, jetzt am Bachviertel Nr. 8,
Foto: Azzola
Seit
einigen Wochen drehe ich nun mit der Schiene. Sie bietet mit ihren
langen und kurzen Kanten und den unterschiedlichen Ecken viele Möglichkeiten
der Anwendung. Nur beim Drehen von Tellern und beim Glätten von
Schüsseln von Innen fehlt mir eine Rundung oder eine Kante ohne
scharfem Eck. Leider ist die WEMA-Schiene aus einem mehrere Millimeter
dicken Material, da ich Schienen aus dünnem Blech gewohnt bin, fällt
mir genaues Abstechen und sauberes Ziehen von Zierrillen damit schwer.
Aber das Kupferblech, 1,3mm dick, habe ich schon hier und die Form
zu übertragen ist nicht schwer…
Mein
Dank geht an Herrn Professor Dr. Friedrich Karl Azzola, der mit
seiner Frau Juliane in „Hessische Heimat“, Themenheft Keramik, „Die
historische Töpferschiene in den Städtischen Sammlungen für Heimatkunde
Hofgeismar“, und mit Hans-Velten Heuson in den „Büdinger Geschichtsblätter“,
„Eine Töpferschiene von 1562 als Zeichen in der Wachtstube des Büdinger
Hexenturms“ sein Wissen über die historische Töpferschiene veröffentlicht
hat und mir nicht nur die Schriften, sondern auch die Fotos zur
Verfügung gestellt hat.
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