Töpfer-Reise durch den Osten der USA

von Wilfried P. A. Boch

In den USA soll es 30.000 Töpfer (Potter) geben. Ob diese Zahl stimmt, weiß ich nicht, auf jeden Fall habe ich bei meiner vierwöchigen USA-Reise in diesem Jahr etliche von ihnen besucht und noch viel mehr auf dem 8000 km langen Trip von ihnen gesehen. Diese Reise, eigentlich waren es drei verschiedene in einer, führten mich nach Pennsylvania, nach Tennessee und North-Carolina und zum Schluss nach Maine. Diese Töpfer-Reise ermöglichte mir und meiner Frau unser langjähriger Freund Jim Smith aus Saylorsburg in Pennsylvania. Er ist Professor für deutsche Literatur an der University of East-Stroudsburg. Wir kennen uns seit unseren gemeinsamen Freiburger Tagen 1960 und als ich vor etwa 15 Jahren begann, meine zu große Keramikproduktion zu verkaufen, war er einer der ersten, der von mir Keramik kaufte, um sie zu sammeln. Inzwischen hat er eine große Sammlung vor allem deutscher und amerikanischer Keramik. So war er es, der mich nicht nur einfach zu Töpfern brachte, sondern zu Hochburgen der amerikanischen Potter-Szene, in Museen und Galerien und über einen Freund ein Treffen mit "The Living Legend" Sid Oakley arangierte. Außerdem half er mir, mit meinen badisch gefärbten englischen Sprach-Brocken an den Mann bzw. an die Frau zu kommen und dolmetschte, wenn nötig und möglich.

Natürlich gibt es nicht eine einheitliche Potter-Szene in den USA, sie ist ebenso vielseitig und vielschichtig wie in Deutschland bzw. Europa. Für mich auffallend war die große Experimentierfreude bzw. Innovationsenergie, sei dies in technischer Hinsicht bezüglich dem Selbst-Bau von Öfen, Werkstätten und Maschinen, aber auch hinsichtlich des keramischen Angebots, der Präsentation des Angebots und nicht zu vergessen der künstlerischen Expressivität. Sehr oft ist jedoch die keramische Tätigkeit, "potter" zu sein, nur ein Bein der wirtschaftlichen "security". Sicher kann ich meine Stipvisite nicht auf die ganze USA verallgemeinern, aber wir trafen erstaunlich viele Aus- bzw. Umsteiger und Spät-Einsteiger.

Bei Bethlehem PA besuchten wir die "Moravian Pottery & Tile Works". Es ist heute ein "working history" Museum, in dem mit den Formen und Techniken der Jahrhundertwende vor allem Fliesen hergestellt werden. Diese historische Fabrikationsstelle wurde 1898 von Henry C. Mercer gegründet und gebaut. Es ist eine zweistöckige Anlage in U-Form, alles aus Beton gebaut, selbst die Dächer sind aus Beton. Etliche mit Fliesen bunt geschmückte Kamine ragen aus den Dächern und künden von den Öfen, die über zwei Stockwerke betrieben wurden. Obwohl es eine reine Industrieanlage ist, erinnern die äußeren Formen und Dekorationen an Gaudi.

Hier begegneten wir dem ca. 30 Jahre alten Töpfer Chris Bonner, der uns die Produktion zeigte. Mercer hat seine vielfältigen Motive und umfangreichen Darstellungen gußeisernen Ofenplatten entnommen. Es gibt sehr viele christliche Themen, wiederum andere entstammen der Bilderwelt des alten Amerikas und seiner Eroberungsgeschichte. Die Moravian Töpferei arbeitet fast ausschließlich mit diesen alten Formen und Glasurrezepten. Oft wird auch eine große Buntheit unglasierter vielteiliger Fliesenbilder durch verschiedenfarbige Tone und unterschiedliche Brandführungen erzielt.

Chris Bonner betreibt zusammen mit seiner Frau Erika (sie hat trotz des deutschen Vornamens keine deutschen Wurzeln, denen man in USA ja oft begegnet) eine Töpferei in Doylestown Revere. Hier können sie einerseits die Beziehung zur Moravian Pottery nicht leugnen, denn Erika stellt unterschiedlichste Schmuckformen aus Modeln her, andererseits experimentiert Chris mit Ascheglasuren bzw. Ascheanflug. So hat er sich neben seinem selbstgebauten Gasofen einen 5 m langen Anagamaofen gebaut und dies, obwohl ihm weder Grundstück noch Haus gehört. Er konnte alles günstig mieten und hat gute Nachbarn. Das viele Holz erarbeitet er sich dadurch, dass er bei Leuten die zu groß gewordenen Bäume in den Vorgärten gegen Bezahlung entfernt. Seine Stücke, hauptsächlich Vasen und Schüsseln wirken erdhaft rustikal und haben tolle, oft dicke, glasurgleiche Ascheanflüge. Durch die Flugrichtung wirken die Stücke sehr lebendig.

In Gatlinburg Tennessee, einer kleinen Stadt am Rande der "Great Smoky Mountains", einem der ältesten und meistbesuchtesten National-Parks der USA, hat sich ein Handicraft-Zentrum großer Bedeutung entwickelt. Mit dafür verantwortlich ist wohl die Kunstschule in Gatlinburg, in der vor allem die Werkstoffe Holz (wood) und Ton (clay) im Mittelpunkt des künstlerischen Lehrens und Lernens stehen. Obwohl Samstag und Ferien waren, konnten wir die Abteilung "clay" anschauen und trafen den Leiter Bill Griffith, der uns auch die verschiedenen Raku-, Holz-, Gas- und Elektroöfen zeigte. Auch hier gab es einen schon öfter benutzten großen Hangofen. Obwohl die verschiedenen Räume vorbildlich sauber und aufgeräumt waren, und das Studio mit seinen 20 elektrischen und 2 Fuß-Scheiben leblos wirkte, waren in den weit oben befindlichen Regalen Ergebnisse und Spuren des künstlerischen Bemühens und Schaffens zahlreich zu sehen. Mich überraschten die vielen teils skurilen Kannen (teapots), doch Tage später wußte ich dann, warum die Tee-Kanne hier zum Thema geworden war.

Auf dem 8 MILE LOOP OF SHOPS, STUDIOS & GALLERIES, einer ausgeschilderten Künstlerstraße am Rande der Great Smoky Mountains sind insgesamt 77 handmade artists aller Art in einem Prospekt ausgeschrieben. Darunter sind etliche Töpfer und Keramik-Künstler mit ihren Werkstätten oder in Galerien bzw. Kunst-Läden vertreten. Hier trafen wir u.a. James Cofield. Er ist 47 Jahre alt und Töpfer-Lehrer in der Kunst-Schule Gatlinburg. Als wir ihn trafen, experimentierte er an einer roten Glasur (Ochsenblut). Anscheinend ist dies z.Z. aktuell, denn die rote Glasur begegnete uns auch anderswo mehrfach. Sie läuft noch zu arg und so war James gerade kräftig am Schleifen. Er freute sich, seine deutsche Abstammung uns mit Dokumenten und Zeitungsartikeln beweisen zu können. Vor rund 200 Jahren sind seine Vorfahren mütterlicher- und väterlicherseits aus dem Saarland bzw. Zweibrücken eingewandert und hießen Kauffeld. Er kann aber kein Wort deutsch und war noch nie in Germany. Obwohl auch seine Frau arbeitet, sie hat mit Computern zu tun, wird er sich eine Reise nach Deutschland nie leisten können. Der Shop und die sehr kleine Werkstatt innerhalb des einstöckigen Holzhauses und der selbstgebaute Gasofen und Raku-Ofen im Freien wirkten recht bescheiden.

Dagegen ist die Smoky Mountain Pottery SMP eine große und sehr vielseitige Töpferei. Sie wird von einer sehr tüchtigen Frau geleitet, deren Namen ich mir leider nicht notiert habe. Hier werden Wandschmuckbilder mit Formen in Mengen hergestellt, aber auch mit Blumen und Bäumen fein anmodellierte Vasen, Bilder und Objekte. Je nach Auftragslage und Jahreszeit werden zwischen 15 und 40 Töpfer und Arbeitskräfte beschäftigt. Der Betrieb ist auf dem neuesten Stand der Technik, der Computer ist ein wichtiges Arbeitsgerät. Mit ihm werden teilweise Motive und vor allem Schriften entworfen, die über Drucker, Kopierer und einen "Fotoumwandler" zu Latexformen und –stempel werden. Die vielerlei und teils sehr "amerikanischen" Schmuckformen werden einzeln in Gipsformen gepreßt. Diese Gipsformen befinden sich in aluminiumummandelten Abwasserrohr-Abschnitten, die ca. 30 cm Durchmesser haben und etwa 8 cm dick sind. Der Metallring hat ein Anschlußstück für einen Luftschlauch. Wenn der Ton in die Form gepreßt ist, wird über den Metallring und dessen Luftanschlußstutzen Preßluft in die Gipsform "geblasen". Dadurch löst sich der Ton schneller und problemloser aus der Form. In zwei Räumen stehen etliche Elektro-Öfen. Mit ihnen werden vor allem die "Wall Plaques" gebrannt, die per Prospekt bestellt und versandt werden. Ein recht großer Gas-Ofen steht im Freien etwa 2 m vor der Werkstatt. In ihm wird die künstlerisch anspruchsvolle Keramik gebrannt. Er wird mit einem Herdwagen bestückt, der durch ein Tor gegenüber dem Ofen in die Werkstatt gefahren wird. So ist die Bestückung und das Ausräumen des Gas-Ofens wetterunabhängig im Raum möglich.

In North-Carolina entstand in den letzten Jahrzehnten wohl das größte Töpferzentrum im Osten der USA. In Seagrove an der Straße 220, Interstate 73 und 74 südlich von Asheboro wurde zwar schon im letzten Jahrhundert getöpfert, aber mit dem Großvater Owen begann in den 50iger Jahren eine neue Töpferzeit. Inzwischen sind gemäß einem Plan, den man in dem neuen Museum und "Pottery Center Seagrove" erhält, 97 Töpfereien und Keramik-Shops aufgelistet und mit einzelnen Stücken in dem Pottery-Center ausgestellt. Drei Tage Aufenthalt reichten nicht aus, um alle zu besuchen, aber anhand der Ausstellung im Pottery-Center und den Erfahrungen und Kenntnissen, die unser Freund Jim hatte, wählten wir aus dem Plan rd. 20 Töpfereien aus. Mich überraschte, dass auch hier die Töpfereien wie schon in Gatlinburg meistens unter einem Fantasie-Namen und nicht unter dem Namen des Töpfers firmieren: Magnolia Place, Eagle’s Nest Pottery, Village Pottery Market, Cross Creek Pottery, Cady Clay Works um einige Beispiele zu nennen. Seagrove und die Töpfereien sind auf etliche Meilen verstreut. Wie in den USA üblich spielen Entfernungen nur eine geringe Rolle. Meist sind es größere Grundstücke auf denen einige fast durchweg einstöckige Holzhäuser stehen. Manche der Häuser wirken wie Schuppen oder Garagen. Die in der Regel selbstgebauten Gasöfen, bei etlichen auch Holzöfen, sind mit offenen Dächern vor Regen und Schnee geschützt. Die neuerdings zunehmenden Elektro-Öfen, fast ausschließlich "runde" Toplader, stehen in einem der kleinen Holzhäuser. Die baurechtlichen und feuerpolizeilichen Bestimmungen sind so weit gefasst, dass jeder das tun kann, was er will, wenn sein Grundstück groß genug ist.

Die Cross Creek Pottery, wunderschön weit außerhalb jeglicher Behausung gelegen, betreibt Terry Hunt. Er dürfte ein Endfünfziger sein. Er war im Investmentgeschäft. Der tägliche Stress wollte ihn auffressen. So nahm er vor 10 Jahren seinen Abschied und begann zu töpfern. Zuerst Töpfern zur Selbstfindung und dann als Spass an der Freud. Seit 9 Jahren töpfert er nun. Er dreht an der hochgesetzten Scheibe stehend. Er erklärt: "Hier stehen alle, das Sitzen geht ins Kreuz. Wenn jemand sitzt, dann die Frauen, die sind nicht so stark, die müssen ihre Arme auflegen und fixieren. Die Männer brauchen das nicht, sie sind kräftig genug." Tatsächlich wurde in den verschiedenen Werkstätten stehend gedreht, aber auch von Frauen, wie ich selbst sehen konnte. Bei der stehenden Drehhaltung könne man durch das Gewicht des Oberkörpers mehr Kraft mit weniger Anstrengung ausüben. Die Kraft müsse nicht so sehr aus den Schultern und Armen kommen. Die Leute stehen in einer Art Schrittstellung recht aufrecht an der Scheibe. Beim Zentrieren wird sich auf die Scheibe gebeugt.

Die Leute sind alle sehr freundlich und aufgeschlossen. Wir erfuhren, dass die Töpferei Cady Clay Works von einem "Deutschen" betrieben wird. Da musste ich hin. Der 47-jährige Töpfer ist in Benndorf, nur wenige Kilometer von Höhr-Grenzhausen entfernt, geboren. Er heißt Johannes (Jon) Mellange, ist jedoch bereits als Baby 1952 mit seinen Eltern nach Kanada ausgewandert. Er kam noch als Kind in die USA, lernte Töpfer, studierte, arbeitete als Töpfer, hatte die Nase voll davon, landete dann wiederum in einer großen Töpferei, wo er seine Frau Beth kennenlernte und mit ihr siedelte er sich vor ca. 20 Jahren in Seagrove an. Damals war er der 17. Töpfer. Allmählich haben die Töpfer Sorge, ob es nicht zu viele werden. Doch es kommen wegen der vielen Töpfer auch mehr Touristen. Allerdings nur wenige aus Europa. Er zeigte mir seinen Anagama-Ofen. 5 Jahre hat er ihn nach Büchern geplant, 1 Jahr lang hat er die offene Halle gebaut. Die Bäume für die Dachstützen hat er von seinem eigenen Grundstück. Die Steine für den Ofen seien nicht so teuer gewesen, 1 $ habe er für das Stück bezahlt und dann 1 Jahr lang den Ofen gebaut, immer an den Wochenenden. Der erste Brand ist gelungen. Es gab zwar verschiedene Temperaturbereiche, aber Jon war glücklich, Kegel 13 erreicht zu haben. Nun kann er sich auch wieder anderen Dingen zuwenden. Er restauriert gerade einen kleinen Sportwagen aus den 50iger Jahren.

In den Töpfer-Shops sind meistens die Stücke von mehreren Töpfern vertreten. Daher vielleicht auch der unverbindliche Fantasiename. Ehemalige Schüler und gute Freunde werden mit ausgestellt. Öfter gibt es auch Kooperativen von einigen Männern und Frauen. So sahen wir in der Dirt Works Pottery von Dan Triece hervorragende Raku-Vasen und –Dosen von seinem Freund Andy Smith. Raku ist in den USA bei den meisten Töpfern und Töpferinnen vertreten und nahezu selbstverständlich im Angebot. Doch so exakte ornamentale Dekorationen wie bei Andy Smith hatte ich bei Raku noch nie gesehen. So sind in den "Potteries of the Seagrove Area" nicht nur 97 sondern mehrere hundert Töpfer vertreten. Die etablierten, renommierten Töpfer werben jedoch schon mit ihrem Namen: Phil Morgan Pottery, Ben Owen Pottery, Original Owens Pottery. Es gibt nur wenige Töpfer, die Kristallglasuren beherrschen. Etliche scheinen sich jedoch darum zu bemühen. Phil Morgan hat es längst geschafft und er sagt selbst, dass von den 30.000 Töpfern in den USA nur eine handvoll diese Kunst beherrschen und er ist wegen seinen Kristallglasuren berühmt. Entsprechend sind seine Preise und es gab nur wenige große Stücke, nichts Kleines. Wir mußten bei aller Liebe und Begeisterung immer an unser Konto zu Hause denken, denn mit der Karte auf Kredit zu kaufen ist überall in USA selbstverständlich und die geringe Transportmöglichkeiten beim Heimflug setzten auch Grenzen (zum Glück!). Bei Ben Owen konnten wir jedoch nicht widerstehen. Eine Schale mußte mit. Ben III. ist nun die dritte Generation der Owens. Er hat mit seinen erst 30 Jahren schon viele Erfolge, Preise und Auszeichnungen vorzuweisen. Doch Vater und Großvater haben schon einen guten Namen hinterlassen. Ben hat u.a. eine tolle Rotglasur, kann sehr große Stücke drehen und beherrscht verschiedenste Brennverfahren. Er zeigte uns seinen Holz-Ofen. Es ist ein langer Anagama-Ofen, jedoch eben, nicht am Hang steigend wie bei Chris Bonner, Phil Griffith oder bei Jon Mellage. Am Ende des tunnelartigen Ofens ist ein zweiter Holz-Ofen, hoch und kuppelartig und wird quer zu dem langen Ofen geheizt. Beide Öfen können einzeln aber auch miteinander verbunden geheizt und gebrannt werden. Ich habe das Prinzip jedoch nicht verstanden. Man müßte so etwas einfach einmal miterleben. Ben hat gerade eine neue Werkstatt gebaut. Es ist ein Atelierhaus, zweistöckig, das mehrgliedrige Dach ganz aus Kupfer. Es sind mehrere Räume unterschiedlich schräg zueinander angeordnet. Die Wände sind gelb-marmoriert gestaltet. Ein Freund von ihm ist Architekt und hat ihm das Haus nach seinen Wünschen entworfen und gebaut. Es ist eindrucksvoll toll, geradezu ein Schloss von einer Werkstatt. Irgendwo schlägt sich auch hier der Erfolg finanziell und sichtbar nieder.

Der absolute Höhepunkt meiner Töpferreise war jedoch eine Begegnung mit Sid Oakley. Er ist ein bekannter und viel beachteter Töpfer und erhielt als ganz besondere Auszeichnung den Titel "The Living Legend". Sid ist schon ein älterer Herr und lebt in Creedmoor an der Straße 50, Nähe der Interstate 85 nördlich von Durham. Das Anwesen liegt abseits der Stadt in einem Wald und ist gleichsam parkähnlich angelegt. Alle möglichen Figuren aus Metall, Ton oder Stein in verschiedensten Größen verstecken sich in Blumen und Büschen und geben dem Entreè zu seiner Galerie etwas Märchenhaftes. Die Galerie besteht aus mehreren Räumen und beinhaltet neben verschiedenster Keramik auch wunderbare Glas- und Metallgegenstände und anderes erlesenes Kunsthandwerk. Seine Tochter ist Glaskünstlerin. Mein Freund Jim hatte über einen Freund dieses Treffen mit Sid Oakley für mich arrangiert. Sid erkundigte sich nach meiner Arbeit und zeigte mir dann seine Werkstatt und die verschiedenen Gas- und Holz-Brennöfen. In der auffallend kleinen Werkstatt war ein junger Töpfer, Geoffroy A. Lloyd, am Drehen. Hier, etliche Meilen von Seagrove entfernt, saß man nun wieder an der Scheibe, wie ich es auch gewohnt bin. Die fertig und gekonnt gedrehten Ränder von Schalen, Schüsseln und Vasen verformt Geoff symmetrisch, so dass die runde Form aufgelöst wird und ein Vier- oder Dreier-Rhythmus entsteht. Ein anderer, Blaine Avery, begutachtete und sortierte seine Stücke, die er gerade aus dem Gas-Ofen geholt hatte. Er hat eine besondere Dekorationstechnik mit dem Malhörnchen, trägt in flotten Bewegungen Strichstrukturen auf den lederharten Scherben, verzieht die Streifen mit Hölzchen und Fingern. Später wird alles überglasiert und im Gas-Ofen reduzierend gebrannt, wodurch interessante Effekte unter der Glasur entstehen. Diese Töpfer sind quasi Meisterschüler von Sid Oakley und arbeiten auf eigene Rechnung bei ihm. Sid Oakley ist auch berühmt für seine Kristallglasuren. Er scheint jedoch nicht mehr sehr viel selbst handwerklich zu arbeiten. In dem großen Angebot des Ladens standen in einem schmalen Regal nur ein paar wenige kleine Stücke zu hohen Preisen.

Im hintersten und größten Raum der Galerie war eine bedeutende Ausstellung. Wir hatten sie zwar schon entdeckt, aber noch nicht besichtigt. Sid wies mich nun extra drauf hin. Diese Ausstellung enthielt 205 Tea-Pots von 140 Künstlern aus 40 Staaten der USA. Es ist die 4. Ausstellung dieser Art, die Sid ins Leben gerufen und durchgeführt hat. Wir hatten großes Glück, denn die Ausstellung ging nur noch bis Anfang September. Wir waren doch schon in der Art-School Gatlinburg auf die ausgefallensten Teekannen gestoßen. Hier gab es die verschiedenartigsten, buntesten, größten und kleinsten und skurilsten und gesponnensten, die man sich vorstellen konnte. Eine in der Form sehr ausgewogene mit einer Art Pfauenauge-Glasur, farblich hell und sehr dezent, hatte einen der beiden ersten Preise gewonnen. Ich erkannte, dass sie von Bruce Gohlsen stammt, den ich in Seagrove in bzw. bei der Dover Pottery kennen gelernt hatte. Dieser junge Mann hatte mir erzählt, dass sein Vater gegenwärtig eine Gastprofessur in Wien ausübt und er daher schon einmal in Germany und Austria gewesen sei. Er selbst sei Töpfer im full-time-job. Ich hatte mich noch gewundert, in welch engen und einfachen Verhältnissen er arbeitete.

Mehrfach konnten wir verschiedene Töpfer-Beziehungen untereinander, jedoch vor allem vom Norden bis Süden innerhalb des Ostens der USA wahrnehmen, aber so war ja auch unsere Reise ausgerichtet. Diese Beobachtungen wurden noch durch mehrere Museumsbesuche in Pittsburg, in Charlotte, in Washington, in Portland und in Boston ergänzt und verstärkt. Dabei entdeckte ich u. a. einen großen Kalkspatz auf einer hohen Vase von Picasso in einer Picasso-Sonderausstellung im Museum in Portland. Dieser Kalkspatz scheint sich dort, wo er sitzt, sehr wohl zu fühlen, denn es ist der nackte Po einer Frauengestalt.

Ich hatte mir von Sid Oakley ein winzig kleines Schüsselchen mit einer weißen und dunkelroten Glasur quasi als Andenken im Laden gekauft. Nun verabschiedeten wir uns im Garten, ich machte meine Verbeugung und kramte einige artige Redewendungen zusammen. Mit einem "moment please" verschwand der alte Meister und kam kurze Zeit später mit einer Papiertragetasche zurück und überreichte sie mir als Geschenk. Ich spürte, da war etwas größeres und schwereres als mein Schüsselchen drin. Ich bedankte mich überrascht und artig. Er meinte, er würde dies mir schenken, weil die Leute in Deutschland alle so nett zu ihm gewesen seien. Er war als Soldat nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland und zuletzt um 1975 zu Besuch als Töpfer. Im Auto packten wir die Tüte aus und waren sprachlos: eine wunderschöne Vase mit hauchdünnem Hälschen mit weißer Kristallglasur kam zum Vorschein. Wir hatten sie zuvor in der Galerie bewundernd betrachtet, doch der Preis ließ alle Kaufüberlegungen im Keim ersticken. Nun hielt ich dieses tolle Stück in Händen. Im Stillen dankte ich allen Leuten in Deutschland, die jemals nett zu Sid Oakley gewesen waren.